Grundlagen schulischer Motivation
(Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags Barbara Budrich: Raufelder, Diana: Grundlagen schulischer Motivation; 2018, Opladen. Verlag Barbara Budrich)
Schulpraktische Ansätze - wie Motivationsprozesse unterstützt werden können
Der Lehrperson kommt als aktiver Gestalterin und Moderatorin des schulischen Lehr-/Lernprozesses eine aktive Rolle in Bezug auf die mögliche Unterstützung motivationaler Prozesse zu, was durch zahlreiche empirische Studien belegt ist (vgl. Kapitel 4.2). Ein möglicher Ansatzpunkt der motivationalen Unterstützung ist die Bezugsnormorientierung der Lehrkraft: Nutzt die Lehrperson eher eine individuelle Bezugsnorm, d. h., die Leistungen des Schülers bzw. der Schülerin werden an seinen bzw. ihren bisherigen Leistungen gemessen, als eine soziale Bezugsnorm, in der die Leistungen eines Schülers bzw. einer Schülerin in Bezug zu den Leistungen der anderen Schüler/-innen in einer Schulklasse gesetzt werden, dann fördert das die Entwicklung des Erfolgsmotivs, die Wirksamkeitserwartung und das Vertrauen in das eigene Lernpotenzial.
Zudem können Lernende durch eine individuelle Bezugsnorm direkte Schlüsse auf ihr Lernverhalten ziehen, was wiederum mit einer günstigen Attribution von Misserfolg einhergeht, da dieser an veränderbaren Faktoren ("Ich habe mich zu wenig vorbereitet", "Die letzte Lernstrategie hat mehr Erfolg gebracht, also sollte ich wieder besser diese nutzen für den nächsten Versuch") festgemacht wird.
Nutzen Lehrkräfte hingegen eine soziale Bezugsnorm, dann begünstigt dies ungünstige Attributionen (z. B. "Ich bin einfach zu blöd für Mathe", "Ich kann keine Aufsätze schreiben", "Chemie ist zu schwierig"), da gerade leistungsschwächere Schüler/innen keine Entwicklung und Lernzuwachse sehen, wenn sie stetig unter dem Durchschnitt der Klasse liegen. Entsprechend haben Studien belegt, dass insbesondere leistungschwächere Schüler/innen von Lehrkräften mit einer individuellen Bezugsnormorientierung eher ein Misserfolgsmotiv entwickeln. D. h., durch den Fokus auf das Indiviuum kann die Entwicklung günstiger Motivationsmuster unterstützt werden.
Auch die Lehrperson selbst erlaubt ihren Schüler/innen mehr Entwicklungsraum, wenn sie einer individuellen Bezugsnormorientierung folgt, insofern sie dann keine langfristigen Prognosen (z. B. "Laura ist eine schlechte Schülerin", "Sven wird nie ein guter Matheschüler sein") stellt, die charakteristisch für Lehrpersonen sind, die einer sozialen Bezugsnormorientierung folgen.
Lehrkräfte können zudem Schüler/innen anleiten auf ihre Attributionen zu achten. So können gleichzeitg selbstreflexive Prozesse gefördert werden, die dem Einzelnen helfen langfristig motivational günstige Attributionen zu nutzen, was für die Entwicklung eines gesunden Selbst essenziell ist. Damit werden langfristig Weichen gelegt, von denen das Kind ein Leben lang profitieren kann.
Wenn man zudem die individuelle Bezugsnorm an eine kriteriale Bezugsnorm koppelt, wie es derzeit in vielen Modellschulen in Form von Kompetenzrastern, -stufen, -niveaus erprobt wird, dann fördert das gleichzeitig das Autonomie- und Kompetenzerleben der Schüler/innen, was - wie zahlreiche Studien im Rahmen der Selbstbestimmungstheorie gezeigt haben - der Förderung intrinsischer Motivation zugutekommt, weil Kinder sich dann als selbstbestimmt erleben. Sie entwickeln ein eigenes Verständnis für ihre Fähigkeiten und sie übernehmen selbst Verantwortung für ihren Lernprozess. Äußerungen wie zum Beispiel "Letztes Jahr habe ich in Englisch nichts gelernt, weil wir da Frau Müller hatten" kommen Schüler/innen dann gar nicht in den Sinn, weil sie wissen, dass nicht Frau Müller für ihren Lernprozessverantwortlich ist, sondern sie selbst.