Ausbrechen aus alten Räumen
Escape Games sind in Deutschland seit rund zehn Jahren populär. Dabei muss eine Gruppe aus einem physischen oder imaginären Raum entkommen. Dieses Prinzip lässt sich auch gut im Unterricht verwenden. Im Bundeswettbewerb Fremdsprachen kam das Format dieses Jahr erstmalig zum Einsatz. Seine fremdsprachendidaktischen Potenziale erklären Janina Reinhardt, Studienrätin im Hochschuldienst an der Universität Bielefeld, und Mohamed El-Zein, Preisträger beim Bundeswettbewerb Fremdsprachen 2023.
Bildung & Begabung: Frau Reinhardt, Herr El-Zein: Erinnern Sie sich, wann Sie zum ersten Mal ein Escape Game gespielt haben?
Janina Reinhardt: Ja, tatsächlich – weil es für mich eine ziemlich außergewöhnliche Erfahrung war. Ich war als Promotionsstipendiatin in Lyon, Frankreich, und meine Universität organisierte ein Escape Game, damit sich die Studierenden besser kennen lernen konnten. Wir hatten unterschiedliche sprachliche Hintergründe, haben nicht alle Französisch gesprochen. Letzten Endes war es also eine Sprachmittlungsaufgabe – super interessant!
Mohamed El-Zein: Ich glaube, meine erste Erfahrung in einem Escape Room war tatsächlich erst im Oktober 2022: in Hannover mit dem Alumni-Verein von „Jugend debattiert“. Das hat Spaß gemacht, weil man allein schnell an seine Grenzen kommt und daher im Team arbeiten muss. Und dann eben beim Finale des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen im März dieses Jahres.
B&B: Wie kam es überhaupt zur Idee, ein Escape Game für den Fremdsprachenunterricht zu entwickeln, Frau Reinhardt?
JR: Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen mit Escape Games lag diese Idee nahe. Denn damit kann man super Schülerinnen und Schüler bei der Stange halten, die sonst normalerweise nicht so viel mit Fremdsprachen am Hut haben. Dieser Rätselfaktor, das Spielerische – das hat natürlich ein gewisses Potenzial.
B&B: Und wie kam der Kontakt zum Bundeswettbewerb Fremdsprachen zustande?
JR: Über ein Projekt, bei dem es um digitale Medien und Tools in der Lehrkräftebildung ging. Denn Escape Rooms sind eben auch online verfügbar – nicht erst seit Corona, aber seitdem verstärkt. Da wurde dann wohl der Bundeswettbewerb Fremdsprachen aufmerksam und meine Kollegin Melanie Banken und ich haben gerne unsere Expertise eingebracht.
B&B: Worin liegt der Unterschied zwischen dem Einsatz eines Escape Games im Unterricht und bei einem Format wie dem Bundeswettbewerb Fremdsprachen?
JR: Wir dachten am Anfang, dass es eine immense Herausforderung wird. Schließlich ging es um eine Situation, in der Leistung überprüft werden sollte. Beim Einsatz im Fremdsprachenunterricht spielt die Vermittlungsperspektive eine größere Rolle: Was sollen die Schülerinnen und Schüler lernen? Was sollen sie im Anschluss können? In dem Fall war es genau andersherum. Das Escape Game sollte nicht nur vergleichbar, sondern auch ausreichend schwer sein, um das Potenzial der sehr talentierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer überhaupt herauszukitzeln. Andererseits sollte es auch nicht frustrieren. Und schließlich: Es sollte, wie eigentlich jeder Lernraum, angstfrei sei.
B&B: Was meinen Sie genau mit „angstfrei“?
JR: Eine Prüfungssituation birgt natürlich immer die Gefahr, dass man ohnehin schon ängstlich und nervös ist. Da muss man ein bisschen gegensteuern. Das funktioniert ohnehin nur begrenzt und kann natürlich durch ganz neue, ungewohnte Prüfungsformate noch verstärkt werden.
B&B: Herr El-Zein, Sie haben das von Frau Reinhardt und Frau Banken mitentwickelte Escape Game gespielt, denn es war als wettbewerbsrelevante Leistung Teil des SOLO Plus-Finales im März 2023 in Mannheim, bei dem Sie den ersten Platz belegt haben. Wie war Ihr Eindruck?
MEZ: Das Escape Game war für mich und die anderen Teilnehmenden tatsächlich eine Überraschung. Aber ich persönlich finde Überraschungen gar nicht schlecht, auch in einem Wettbewerbskontext. Denn spontan und flexibel reagieren zu müssen ist doch viel authentischer, gerade wenn es um das Sprechen von Fremdsprachen geht. Und uns wurde von allen Seiten eindeutig kommuniziert, dass es nicht vorrangig darum geht, den Escape Room zu knacken. Wichtiger sei es, aufeinander einzugehen und im Team zu agieren. Das hat sehr viel Druck rausgenommen und war auch sehr gut möglich. Denn selbst wenn man nicht alle eingesetzten Fremdsprachen beherrscht hat, konnte man sehr gut mit einfachen Mitteln kommunizieren und sich gemeinsam als Gruppe präsentieren.
B&B: Und wie bewertet man, welche Gruppe gut performt – und welche eher nicht?
JR: Die Vergleichbarkeit ist natürlich ein Thema. Im Falle des Bundeswettbewerbs Fremdsprachen konnten wir uns glücklicherweise auf unsere Rolle als Spielleiterinnen fokussieren; die Bewertung übernahm die Jury. Diese hat mir bestätigt, dass man sehr schnell erkennt, welche Jugendlichen es schaffen, sich aufeinander einzulassen und bei Verständnisproblemen flexibel zu reagieren – und welche eher weniger.
B&B: Glauben Sie, dass ein spielerischer Ansatz beim Fremdsprachenlernen helfen kann? Wo liegen Chancen, wo Grenzen?
JR: Escape Games bieten auf jeden Fall immenses Potenzial Richtung Motivation, das würde ich tatsächlich noch mal unterstreichen. Und Frustrationstoleranz kann man durchaus auch lernen. Die braucht man auch im Alltag – gerade, wenn man kommuniziert und man versteht einfach nicht, was das Gegenüber tatsächlich mitteilen möchte. Was die Grenzen angeht: Den Wortschatz erweitert man durch diese Methode natürlich nur bedingt. Wenn ich in Spanien bin und ich spreche nur ganz gebrochenes Spanisch, dann muss ich mich irgendwie mit Händen und Füßen verständigen – das ist natürlich etwas ganz anderes, als in einem Escape Game ein Rätsel zu lösen. Aber mehrsprachigkeitsdidaktisch gedacht bietet das Format ebenfalls großartige Möglichkeiten.
MEZ: Wie man eine Fremdsprache lernt, ist ja sehr individuell. Es gibt Menschen, die schauen fremdsprachige Serien oder lesen Bücher in einer anderen Sprache. Und dann gibt es solche, die sich ihre Wortlisten aufschreiben oder sogar mehrsprachig aufgewachsen sind. Escape Games erweitern die Palette der Möglichkeiten, gerade in puncto Teamfähigkeit. Wichtig ist aber auch: In meinem Fall habe ich das Escape Game in einer Wetttbewerbssituation gespielt, da hat man natürlich auch ein wenig den Gedanken im Hinterkopf, dass man bewertet wird – was ja auch legitim ist, da die Finalistinnen und Finalisten beim Bundeswettbewerbs Fremdsprachen hohe Ansprüche an sich haben. Mir persönlich aber hat das Spiel einfach sehr viel Spaß gemacht, da ich gerne auf Englisch und Französisch kommuniziere.
B&B: Frau Reinhardt, wie kann ich als Lehrkraft ein Escape Game im Unterricht einsetzen?
JR: Tatsächlich kann ich empfehlen, entweder an einer Fortbildung teilzunehmen oder die Kolleginnen und Kollegen zu fragen, die das vielleicht schon einmal ausprobiert haben. Oder einfach im Internet zu recherchieren – da gibt es viele Materialien und sogar fertige Escape Games, die man kaufen kann. Wenn man tatsächlich ein eigenes Escape Game konzipieren möchte, ist das extrem viel Arbeit. Ich glaube nicht, dass man das in einem ohnehin schon vollen Schulalltag so nebenher schafft, zumindest nicht allein. Aber man kann auch Schülerinnen und Schüler miteinbeziehen und sie bitten, doch einfach mal ein professionelles Spiel mitzubringen – es gibt ja Escape Games inzwischen auch als Brettspiele, die man zu Hause spielen kann. Auch und gerade in anderen Sprachen!
B&B: Abschlussfrage: Titelthema unseres Jahresberichts sind Räume. Was sind für Sie ideale „Lernräume“ – im physischen wie im übertragenen Sinne?
JR: Das Wichtigste ist für mich tatsächlich eine gewisse Vielfalt. Wir haben an der Uni Bielefeld mittlerweile einen Raum, den wir flexibel gestalten können – mit Steh- und Sitzgelegenheiten, die wir komplett neu anordnen können, mit digitalen Geräten aber auch klassischen Hilfsmitteln wie Flipcharts. Und nachdem ich bereits von digitalen Medien gesprochen habe: Auch ein virtueller Raum wie ein Computerspiel kann letzten Endes ein Lernraum sein! Viele Schülerinnen und Schüler haben in ihrer Freizeit mit Gleichaltrigen auf der ganzen Welt zu tun, besuchen Online-Plattformen und kommunizieren dort auf Englisch oder in anderen Fremdsprachen.
MEZ: Ich kann sehr gut lernen, wenn ich aus dem Haus rauskomme oder einfach in ein anderes Zimmer gehe. Stichwort Tapetenwechsel. Dann ist man auch viel produktiver und weniger abgelenkt. Mir hilft es außerdem, mit anderen Menschen zusammen zu lernen – das hat den Vorteil, dass man sich gegenseitig ergänzen kann. Methodisch ist für micht außerdem wichtig, dass man plant, wann genau man lernt und auch genug Zeit für Pausen vorsieht. Ich empfehle zum Beispiel die Pomodoro-Technik. Dabei lernet man in in Zeitintervallen von 25 Minuten und macht dazwischen fünf Minuten Pause, beziehungsweise 20 bis 30 Minuten nach dem vierten Intervall. Wichtig beim Thema Lernen ist: Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern es muss für mich funktionieren. Ich kenne zum Beispiel sehr viele Menschen, die ihre Lernzettel einfach als Audiodatei aufnehmen und sie sich dann wie einen Podcast anhören. Ich selbst mache das nicht. Aber nur weil es für mich nicht funktioniert, bedeutet das nicht, dass es für andere nicht eine gute Lernmethode sein kann.
Dr. Janina Reinhardt
Janina Reinhardt hat in französischer Linguistik promoviert und ist die Hauptverantwortliche für die Didaktik des Französischen und Spanischen an der Universität Bielefeld. Sie und Melanie Banken, Lehrerin am Gymnasium Petrinum Recklinghausen und Dozentin an der Ruhr-Universität Bochum, beschäftigen sich mit Innovation im Fremdsprachenunterricht.
Mohamed El-Zein
Mohamed El-Zein hat mit den Fremdsprachen Englisch und Französisch beim Bundeswettbewerb Fremdsprachen 2023 einen ersten Platz belegt. Schon als Kind entwickelte er eine Leidenschaft für Fremdsprachen und wählte später Englisch und Französisch als Leistungskurse. Aktuell studiert er Politik- und Sozialwissenschaften an der französischen Eliteuniversität Sciences Po in Nancy.